Materialität des Klangs

Skizzen zu einer neo-materialistischen Musikästhetik

Ein Beitrag von Erwin G. Ott vom 16. Oktober 2025

Dieser Essay entwickelt eine neo-materialistische Musikästhetik, die Musik nicht länger als Ausdruck menschlicher Subjektivität oder als Repräsentation von Bedeutung versteht, sondern als epistemische Praxis, in der Materie selbst ästhetisch handelt. Ausgehend von der Frage, wie Musik im Anthropozän, in medial vernetzten und ökologisch sensiblen Kontexten gedacht werden kann, wird der Klang als relationales, prozessuales Phänomen analysiert: Schwingung, Resonanz, Affekt und temporale Organisation werden als Formen des Wissens verstanden, die das Verhältnis von Subjekt, Materie und Welt neu konstituieren.

Die Arbeit untersucht die physikalischen, sozialen und affektiven Dimensionen von Klang, betont die agency des Hörens und die relationalen Prozesse zwischen Musiker, Hörer, Instrument, Raum und Medium. Musik wird als temporäre, sich selbst organisierende Struktur beschrieben, deren epistemische Kraft in der Fähigkeit liegt, materielle Differenz wahrnehmbar zu machen, ohne sie zu reduzieren. Die Synthese von Schwingung und Relation, von Wahrnehmung und Prozess, führt zu einer Ästhetik der offenen Resonanz, die jenseits von Autonomie, Repräsentation oder teleologischer Form operiert.

Abschließend wird die offene Frage formuliert: Was hört die Materie, wenn wir hören? Sie verdeutlicht die kosmologische Dimension der Musik, in der Hören als Mitvollzug materieller Prozesse verstanden wird, in dem Welt, Klang und Denken ineinander schwingen. Der Essay plädiert für eine Musikästhetik, die Denken und Materialität nicht trennt, sondern als zusammenhängende Praxis begreift – eine epistemische Praxis, in der Musik selbst zur Form des Wissens und der Weltwerdung wird.